Erhöhtes Stressempfinden bei Kindern und Jugendlichen ist keine Lappalie, sondern geht mit häufigen Kopf-, Rücken- und Bauchschmerzen einher. Auch die Seele leidet: Niedergeschlagenheit kann sich verstärken, ergab das DAK Präventionsradar, für das regelmäßig tausende Mädchen und Jungen in Deutschland befragt werden. Die Betroffenen fühlen sich unglücklich. Das kann bis hin zur Depression gehen.
Symptome von Kopfschmerz bis Depression
„Stress hat Einfluss auf zahlreiche Prozesse im Körper“, bestätigt die Ärztin Dr. Tanja Katrin Hantke, Gesundheitsexpertin der vivida bkk. Antriebslosigkeit, depressive Verstimmungen und Burn-out drohen.
Oft sind Stressfaktoren in Familie, Schule oder Freundeskreis der Auslöser: Leistungserwartungen in der Schule oder der Ausbildung, Termindruck, Konflikte und andere soziale Herausforderungen. Das alles belastet die psychische Gesundheit der jungen Generation. „Viele von ihnen machen sich Sorgen um ihre Zukunft“, sagt Ärztin Hantke. „Dauerbelastung kann die Lebensqualität erheblich mindern.“
Doch wie erkennt man Stresssymptome rechtzeitig? Und wie geht man damit um? Vielen jungen Menschen fehlen die passenden Strategien, um den psychischen Druck zu kompensieren.
Eltern sollten ihnen einen Rahmen schaffen, der weder unter- noch überfordert. Ärztliche Abklärung und passende Therapie sind gerade bei Schmerzsymptomen wichtig, und grundsätzlich helfen natürlich Strategien, runterzukommen vom Stress. Das kann eine kindgerecht ausgeübte Entspannungstechnik wie Yoga, Meditation, Atemübungen oder Autogenes Training sein, zunächst aber gilt es, an den Ursachen zu arbeiten.
Schmerzen durch Stress
Stress kann bei Kindern und Jugendlichen spürbare körperliche Auswirkungen haben. So führt er oft zu muskulären Verspannungen. „Wenn seelischer Druck auf uns lastet, spannen wir unbewusst die Muskeln an. Geschieht das andauernd, können Rückenschmerzen die Folge sein“, erklärt Ärztin Hantke. Natürlich kann man mit Rückenübungen gegensteuern. Besser setzt man aber beim Auslöser an. Gleiches gilt für Kopfschmerzen, ein weiteres Stressleiden: „Häufig handelt es sich dabei um sogenannte Spannungskopfschmerzen. Den Betroffenen brummt unter der Belastung der Schädel“, so Dr. Hantke.
Kopfschmerzen bei Kindern lindern
Leiden Kinder regelmäßig an Kopfschmerzen, besteht akuter Handlungsbedarf, mahnt PD Dr. med. Gudrun Goßrau, Leiterin der Kopfschmerzambulanz im Interdisziplinären Universitätsschmerzzentrum am Universitätsklinikum Dresden. Denn das Risiko für weitere Schmerzen im Erwachsenenalter sei laut Studien erhöht.
Häufig könnten schon einfache, aber gezielte Maßnahmen zu einer Linderung führen. Dazu zählen laut Goßrau die Umstellung des Tagesrhythmus, mehr Entspannungszeiten ohne Handy, ausreichendes Trinken und regelmäßiges Schlafen. „Auch regelmäßiger Sport und weniger Termindruck reduzieren Kopfschmerzen erheblich“, sagt die Expertin.
Nicht in Eigenregie therapieren
Migräne und Spannungskopfschmerz sind laut Goßrau die häufigsten eigenständigen Schmerzdiagnosen bei Kindern und Jugendlichen. Sie findet es daher alarmierend, dass Kopfschmerzen häufig in Eigenregie mit frei verkäuflichen Medikamenten bekämpft werden, statt sie ärztlich abzuklären und zu therapieren. „Schmerzmittel sollten Kinder aber nur einnehmen, wenn sie vom Arzt oder der Ärztin in geeigneter Dosierung verordnet wurden“, so Goßrau weiter. Denn bei häufiger Einnahme könnten Medikamente die Kopfschmerzen auch verstärken. Manche seien für Kinder gar nicht geeignet.
Stressbewältigung durch Gemeinschaft
Hilfreich gegen Stress ist Gemeinschaft, betont Prof. Marcus Eckert, Studiengangsleiter des Bachelors Angewandte Psychologie an der Apollon Hochschule: „Soziale Interaktionen, Begegnungen, mit denen wir uns auseinandersetzen und an denen wir wachsen dürfen“, etwa in der Schule. Studie belegen laut Eckert, „dass ein solches Erleben von Gemeinschaft unseren Körper dazu veranlasst, das Hormon Oxytoxin auszuschütten. Dieses wiederum puffert die schädlichen Wirkungen von Stress ab.“
Allerdings nutzen Kinder und Jugendliche Kontaktmöglichkeiten laut Eckert nicht unbedingt von allein. Sie bräuchten Vorbilder, die ihnen das entsprechend vorleben. Zudem könnten Familien etablieren, dass immer mal wieder jemand „eine etwa einminütige Lobrede auf eine nicht anwesende Person hält. Sowohl die Lobenden als auch die Zuhörenden berichten regelmäßig, dass es ihnen nach dieser kurzen Übung besser geht.“
Und sie lasse sich steigen, indem eine Person von einem Unsympathen und dessen Verfehlungen brichte. „Machen Sie sich zuvor Folgendes klar: Alle Menschen wollen ihr Glück mehren und ihr Leid reduzieren. Wie hilft Ihnen dieses Wissen dabei, Verständnis für den ,Unsympathen‘ zu entwickeln? In dem Maße, in dem echtes Verständnis wächst, reduziert sich allgemeines Stresserleben.
Psychische Erkrankungen durch emotionalen Stress
Die Analysen von Versichertendaten unterschiedlicher Krankenkassen bestätigen eine Steigerung der Behandlungen von depressiven Erkrankungen in den vergangenen Jahren. Laut einer Datenanalyse der KKH Kaufmännische Krankenkasse haben psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland zugenommen, die durch emotionalen Stress und Konflikte ausgelöst werden können. Diagnosen einer Depression sind demnach bei 6- bis 18-Jährigen von 2009 bis 2019 um 97 Prozent gestiegen.
Laut Barmer Arztreport 2021 hat sich von 2008 bis 2019 die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die sich psychotherapeutisch behandeln lassen, mehr als verdoppelt.
„Wir erleben eine deutliche Zunahme an psychischen Belastungen und Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen“, sagt Prof. Gerd Schulte-Körne, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am LMU Klinikum München. Diese hat deshalb zusammen mit der Beisheim Stiftung das Portal www.ich-bin-alles.de aufgebaut. Es informiert über Symptomatik, Diagnostik, Ursachen, Verlauf und Behandlung von Depression bei Kindern und Jugendlichen sowie den Erhalt psychischer Gesundheit im Kindes- und Jugendalter.
Ursachen für Depression vielfältig
Zu den wichtigen Gründen für depressive Erkrankungen bei Schülerinnen und Schülern zählen laut der Freiburger Oberberg Tagesklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Unterforderung, Überforderung und chronischer Stress.
Auch hormonelle Veränderungen, genetische Faktoren und die Herausforderungen in der Entwicklung der Persönlichkeit haben Einfluss. Zudem spielen die sozialen Kontakte eine große Rolle. Eine gute Beziehung zu Familie und Freunden kann vor Depressionen schützen. Eine Tagesstruktur kann Kindern und Jugendlichen Halt geben.
Symptome bei Jungen und Mädchen unterschiedlich
Mädchen sind laut Oberberg Tagesklinik deutlich anfälliger für Depressionen und zeigen häufiger Schuldgefühle. Sie haben häufiger den Eindruck zu versagen und ein niedrigeres Selbstwertgefühl. Zudem treten bei ihnen auch vermehrt internalisierende, also eher nach innen gerichtete Probleme wie Appetitlosigkeit sowie Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper auf.
Jungen, die an einer Depression erkrankt sind, zeigen häufiger nach außen gerichtete, herausfordernde Verhaltensweisen: Sie fühlen sich oft schnell von anderen angegriffen, sind besonders reizbar. So kommt es häufig zu einer aggressiven Stimmung und Streitereien.
Emotionen der Eltern können sich auf Kinder übertragen
Im Umgang mit den eigenen Emotionen sind Eltern sehr oft Vorbild. Positive wie auch negative Emotionen können sich bewusst oder unbewusst auf das Kind übertragen, erläutert Dr. med. Ullrich Hildebrandt, Chefarzt der Oberberg Tagesklinik. Sich dessen bewusst zu werden und den Umgang mit Lob und Kritik, Nähe und Distanz, Fürsorge und Freiheit zu prüfen helfe, eine positive Veränderung anzustoßen.
Indem Eltern Hilfe bei ihren emotionalen Problemen annehmen, erhalten sie nicht nur selbst Stärkung, sondern gehen als Vorbild voran. Struktur und Alltagsroutinen geben Orientierung. Das reicht von der täglichen Zeit im Freien und der Bildschirmzeit über soziale Kontakte und Aktivitäten bis zu ausreichend Schlaf.
Ängste abbauen statt Schule wechseln
Gibt es im schulischen Bereich tiefsitzende Ängste, sollten sie durch eine Auseinandersetzung mit den Auslösern abgebaut werden, rät Dr. med. Ullrich Hildebrandt, Chefarzt der Oberberg Tagesklinik in Freiburg.
Denn wird stattdessen die Schule gewechselt, wiederholen sich ihm zufolge nicht selten die Schwierigkeiten auch an der nächsten Schule. Gelingt hingegen – eventuell mit Unterstützung – eine Konfliktlösung, sei dies ein positiver und wichtiger Entwicklungsschritt.
Bei Depressions-Verdacht schnell handeln
Eine frühzeitige Behandlung von depressiven Erkrankungen kann die Heilungschancen steigern und die Dauer einer depressiven Episode verkürzen. Daher sollten Eltern professionelle Hilfe suchen, wenn sie bei ihrem Kind eine über mehrere Wochen anhaltende schlechte Stimmung oder chronischen Stress wahrnehmen.
Eltern sollten den Verdacht, das Kind habe mit Suizidgedanken zu tun, direkt ansprechen. Wenn sich die Sorge bestätigt, gilt es das Kind zu schützen, im Kontakt zu bleiben und unmittelbar Unterstützung zu holen. Je nach Situation helfen die Telefonseelsorge (Tel. 0800-1110111), der Kinderarzt oder in Akutsituationen ein Notarzt (Tel. 112) sowie die zuständige Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Social Media: Mobbing und falsche Körperbilder
Wenn sich junge Menschen exzessiv mit dem eigenen Körper beschäftigen – etwa durch intensive Beschäftigung mit sozialen Medien – sind sie auch dem Eindruck von falschen Körperbildern auf Instagram, Tiktok und Co. intensiv ausgesetzt. Die Folge können Essstörungen sein, sagt die ärztliche Direktorin des Heckscher Klinikums für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Priv.-Doz. Dr. Katharina Bühren. Sie ist auch im Vorstand der Stiftung Kindergesundheit.
Allerdings haben Essstörungen laut Bühren häufig keine klare Ursache, sondern lediglich begünstigende Faktoren. Ein Patentrezept für Eltern gebe es daher nicht. Kommen mehrere Faktoren zusammen, kann das Risiko erhöht sein.
Studien zeigten, dass die Nutzung sozialer Medien unterschiedlich starke Effekte auf Jungen und Mädchen hat. Weibliche Teenager zeigten mit zunehmendem Konsum mehr depressive Symptome als männliche Gleichaltrige. Vor allem Schlaf, Selbstwert und Zufriedenheit mit dem eigenen Körper wurden negativ beeinflusst.
Eltern können ihre Kinder dabei unterstützen, ein gesundes Selbstbewusstsein und Körpergefühl zu entwickeln. „Vor ihren Kindern sollten sie niemals abwertend über ihren eigenen Körper sprechen“, rät Dr. Katharina Bühren. „Über falsche Schönheitsideale in sozialen Medien sollten Eltern frühzeitig das Gespräch suchen.“ Eine ausgewogene Ernährung mit gemeinsamen Mahlzeiten sei ebenfalls förderlich.
Anfeindungen im Netz besonders belastend
Laut der JIM-Studie 2022 haben 16 Prozent der Zwölf- bis Neunzehnjährigen Anfeindungen gegen sich persönlich im Netz erlebt. „Die digitale Welt ist für viele Menschen längst zum potenziellen Stressort geworden und fordert gerade Kinder und Jugendliche heraus“, weiß Manuela Osterloh, Leiterin Kommunikation und Prävention beim BKK Landesverband Bayern. „Deshalb ist es elementar, früh einen verantwortungsvollen Umgang im Netz zu erlernen und auch dort Stress und Gewalt in die Schranken zu weisen.“
Online-Mobbing belastet nicht nur in der Schule, sondern rund um die Uhr und erreicht viele Menschen. Damit dringen die Anfeindungen in Lebensbereiche ein, die Betroffenen früher noch Auszeiten und Rückzugsorte boten.
Tipps gegen Cyber-Mobbing
Für Betroffene ist es immer sinnvoll, sich Hilfe zu suchen, bei Eltern, Klassenlehrern, Vertrauenslehrern oder Schulpsychologen. Das rät auch das Online-Portal ich-bin-alles.de in seinen Tipps gegen Mobbing. An vielen Schulen gibt es mittlerweile bewährte Programme, solche Fälle beizulegen. Weiterer Tipp des Portals: Nicht die Schuld bei sich selbst suchen, wenn man von (Cyber-)Mobbing betroffen ist. Man weiß oft nicht, was andere dazu bewegt, zu mobben.
Präventionsprojekte gegen Mobbing
Inzwischen gibt es Initiativen, die Schülerinnen und Schüler mit einbeziehen in Projekte, die sich Mobbing und Cybermobbing entgegenstellen. Etwa „Gemeinsam Klasse sein“ oder „Digitale Helden“. „Wir alle können Einfluss auf das Miteinander im Internet nehmen. Wir können es entsprechend unserer Vorstellungen prägen, wenn wir aktiv werden“, sagt Vera Borngässer, Pädagogische Leitung der gemeinnützigen Organisation Digitale Helden.
Schülerinnen und Schülern sei oft gar nicht bewusst, welche Rolle sie in Mobbing-Prozessen einnehmen, selbst wenn sie nur Zuschauende sind. Die Digitalen Helden beispielsweise haben deshalb einen Online-Kurs „Gemeinsam gegen Mobbing“ entwickelt, den Lehrkräfte mit ihren Klassen machen können.
Im Kurs verstehen Jugendliche die Entstehung von Mobbing-Prozessen. Im gegenseitigen Austausch entwickeln sie Ideen, wie sie sich für ein gutes Miteinander online und offline stark machen können. Lehrkräfte in Schulklassen der 5. bis 10. Stufe können eine mit dem kostenfreien Online-Kurs „Gemeinsam gegen Mobbing“ eine Unterrichtseinheit gestalten.
Buchtipps
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